Der Mut, nein zu sagen!
Quelle (c): TravelTalk, 08, 19. Februar 2001
Gespräch mit Diplom-Psychologe Henrik Brandt, geführt von Anja Sturm zu Ihrem Artikel:
"Lassen Sie sich nicht zu viel Arbeit aufhalsen - Der Mut, nein zu sagen!"
"Flagge zeigen, nicht aus der Ruhe bringen lassen"
Viele Reisebüromitarbeiter ersticken nur deshalb in Arbeit, weil sie keine Aufgaben abgeben oder ablehnen können. Ist die Arbeitswelt geprägt von Ja-Sagern?
Die Arbeit in einem Unternehmen sollte gerecht und den Fähigkeiten sowie Kapazitäten der einzelnen Mitarbeiter entsprechend verteilt werden. Es geht nicht, dass sich einige wenige auf die faule Haut legen, während die anderen duldsam den Großteil der Arbeit erledigen. Ich glaube nicht, dass unsere Arbeitswelt von Ja-Sagern geprägt ist, eher von schlechter Organisation. Es liegt in der Verantwortung der Führung, die Arbeit auch so zu organisieren, dass Anstrengung angemessen belohnt wird; genauso wie Faulenzen sanktioniert werden sollte.
Spielt die Hierarchie dabei eine große Rolle oder hängt es nur von den einzelnen Persönlichkeiten ab?
Sowohl als auch. Es gibt Mitarbeiter mit wenig Verantwortung, die es schaffen, Nein zu sagen und Ihr Arbeitsquantum auf einem erträglichen Niveau zu halten. Genauso gibt es Führungskräfte, die nicht Nein sagen können und zu wenig Arbeit an Ihre Mitarbeiter abgeben. Das ist eine Frage der sozialen Kompetenz.
Warum fällt es vielen Menschen so schwer, Nein zu sagen? Fällt Frauen das Nein-Sagen schwerer als Männern? Oder jungen Menschen schwerer als älteren?
Das hängt häufig mit inneren Einstellungen und Bewertungen zusammen. Zum Beispiel der Glaube, man dürfe nicht Nein sagen, weil der Gegenüber einen dann vielleicht ablehnt oder nicht mehr mag. Man übernimmt solche Einstellungen durch die Erziehung und man erhält sie durch ständige Benutzung und Gewohnheit aufrecht. Erfahrungsgemäß fällt das Nein-Sagen älteren Menschen, und insbesondere Frauen, aufgrund Ihrer Sozialisation schwerer. Die Jüngeren - Stichwort "Spaßgeneration" - gehen heute insgesamt selbstbewußter damit um.
Wie ist der Unterschied zwischen Nein zu Kollegen und Nein zum Chef zu sagen?
In beiden Fällen spielen Selbstsicherheit und die erwarteten Konsequenzen des eigenen Verhaltens eine Rolle. Bei zu erwartenden Sanktionen ist es natürlich gerade dem Chef gegenüber nicht so einfach, Nein zu sagen. Wichtig ist eine realistischen Einschätzung der Situation. Oftmals treten die erwarteten Konsequenzen gar nicht nein.
Wann ist es dringend ratsam, Nein zu sagen?
Jeder Mensch hat seine Grenzen. Das betrifft die eigene Leistungsfähigkeit und gesundheitliche Belastbarkeit ebenso wie die Wahrung der eigenen Würde und der persönlichen Wertmaßstäbe.
Kann man das Nein sagen lernen? Wenn ja, wie?
Wie gesagt, trägt man bestimmte Denk- und Verhaltensmuster schon seit Jahren oder Jahrzehnten mit sich herum. Es ist nicht einfach, fest gefügte Gewohnheiten aufzugeben. Man kann es aber schrittweise lernen, Nein zu sagen und neue erfolgreiche Verhaltensweisen einüben. Das kostet ein wenig Überwindung, hat aber beste Erfolgsaussichten. Man muss es nur tun. Wer es nicht allein schafft, kann sich bei einem Training zur Sozialen Kompetenz die nötigen Anstöße und Hilfen holen.
Wie erkennt man die Situation, in der es wichtig ist, Nein zu sagen? Wie merkt man, wann man besser nicht Nein sagen sollte?
Wenn die Emotionen hochkochen, ist es ratsam, erst einmal durchzuatmen und mit Ruhe die Situation zu durchdenken, bevor man überreagiert und vielleicht Dinge sagt, die man später bereut. Wenn es aber an die eigenen Grenzen geht, lohnt es sich, den Gegenüber spontan in die Schranken zu weisen. Das wirkt dann oft Wunder und hat vorbeugenden Charakter. Es gilt Kompromisse zwischen persönlichen Ansprüchen und der sozialen Anpassung zu finden.
Wie geht man mit heftigen Reaktionen um, nachdem man Nein gesagt hat?
Flagge zeigen und sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Am besten die Gesprächsführung selbst in die Hand nehmen: Zunächst den anderen ausreden lassen, dann die eigene Position nochmals sachlich formulieren. Wenn es nötig ist, Fehler eingestehen und gegebenenfalls diplomatisch nachgeben.